Ursachen, Auswirkungen und Rezeptionen des Scheiterns englischer, französischer und deutscher kolonialer Expansionsprojekte im Vergleich (ca. 1500 - 1615)
Laufzeit: 01.01.2014 - 01.10.2020
Förderung durch: Reisestipendien der Max Weber Stiftung; (2014-15) Fellowship des DHI Paris (2016)
Kurzfassung
Es ist allgemein bekannt, dass die ersten dauerhaften Kolonien unter dem Schutz der Könige von Frankreich und England auf dem amerikanischen Doppelkontinent erst mehr als einhundert Jahre nach dessen sogenannter „Entdeckung“ entstanden. Für den Zeitraum zwischen 1492 und 1607/1608 führen historische Darstellungen hingegen meist drei bis fünf englische und/oder französische Kolonialprojekte an, die als „gescheitert“ charakterisiert werden. Diese angeblich gescheiterten Projekte funktionieren...
Es ist allgemein bekannt, dass die ersten dauerhaften Kolonien unter dem Schutz der Könige von Frankreich und England auf dem amerikanischen Doppelkontinent erst mehr als einhundert Jahre nach dessen sogenannter „Entdeckung“ entstanden. Für den Zeitraum zwischen 1492 und 1607/1608 führen historische Darstellungen hingegen meist drei bis fünf englische und/oder französische Kolonialprojekte an, die als „gescheitert“ charakterisiert werden. Diese angeblich gescheiterten Projekte funktionieren in der Historiographie einerseits als narratives Gegenstück zur Hervorhebung der späteren Erfolge, andererseits als exemplarische Begründung für die im Vergleich mit Spanien oder Portugal späten Koloniegründungen oder drittens als Bausteine einer Lernen-aus-Scheitern Kausalkonstruktion, die spätere Erfolge logisch aus früherem Scheitern herleitet.
Eine genauere Betrachtung der transatlantischen Politik, die Akteure aus England und Frankreich im fünfzehnten und frühen sechzehnten Jahrhundert verfolgten, offenbart allerdings zweierlei: Zum einen war die Zahl der unternommenen kolonialen Projekte weitaus höher, als in den meisten Handbücher und Forschungsarbeiten angegeben, so dass deren vergleichende Analyse als ein Desiderat gelten muss, zum anderen kann die in der Historiographie immer eindeutig vorgenommene Zuschreibung „gescheitert“ vor dem Hintergrund der Quellen keineswegs als unzweifelhaft gelten.
Ziel des Habilitationsprojektes ist es, die zeitgenössischen Diskurse und Debatten über unternommene und geplante Kolonialprojekte in England und Frankreich im Zeitraum vor der Entstehung dauerhafter eigener Kolonien nachzuzeichnen.
In der Kommunikation beteiligter und beobachtender Akteure während der Vorbereitung, der Durchführung und nach dem Abbruch der Projekte ist stets eine Differenz zwischen den in selektiver Rezeption kommerziell erfolgreicher iberischer Kolonialprojekte formulierten Erwartungen und den erreichten Resultaten erkennbar. Die vom Erwartungshorizont abweichenden Resultate konnten von den Zeitgenossen aber, je nach individuellen Zielen und Kenntnissen, unterschiedlich gedeutet werden. Eine Bewertung als „gescheitert“ war dabei nur eine mögliche und niemals unumstrittene Deutung. „Scheitern“ wird daher im Rahmen des Projektes nicht, wie bisher in der historischen Forschung, als faktisch gegebene Untersuchungskategorie genutzt. Stattdessen stehen die kommunikativen Handlungen im Fokus, in welchen derartige oder alternative Bewertungen entstanden. Dies verspricht einen neuen Blickwinkel auf scheinbar bekannte koloniale Projekte und letztlich auf die Formierung noch immer bestehender Leitnarrative, die zum Teil seit dem siebzehnten Jahrhundert tradiert werden. » weiterlesen» einklappen