Kurzfassung
Kaum eine zwischenmenschliche Interaktion ist in der geschichtlichen Überlieferung so präsent wie das Kämpfen. Die physische Auseinandersetzung wird dabei sowohl als konkrete körperliche Praxis durch Beschreibungen, Artefakte oder Knochenbefunde dokumentiert, sie bildet als Motiv aber zugleich eines der wirkmächtigsten Symbole menschlicher Kultur. Kampfdarstellungen finden sich als erzählte Kämpfe in literarischen und historiographischen Texten, sie prägen als imaginierte Kämpfe in Buch- und...Kaum eine zwischenmenschliche Interaktion ist in der geschichtlichen Überlieferung so präsent wie das Kämpfen. Die physische Auseinandersetzung wird dabei sowohl als konkrete körperliche Praxis durch Beschreibungen, Artefakte oder Knochenbefunde dokumentiert, sie bildet als Motiv aber zugleich eines der wirkmächtigsten Symbole menschlicher Kultur. Kampfdarstellungen finden sich als erzählte Kämpfe in literarischen und historiographischen Texten, sie prägen als imaginierte Kämpfe in Buch- und Tafelmalerei ein eigenes Bildgenre und sie finden sich gleichermaßen als Sujet in der Bildhauerei. Dabei sind es insbesondere Zeugnisse aus dem Umfeld der ritterlich-höfischen Kultur des europäischen Mittelalters, die der Kampfbefähigung und dem Kämpfen als Grundlage der männlichen Selbstbeschreibung einer gesellschaftlichen Elite einen besonderen Stellenwert beimessen. Wie die zahlreichen Hinweise auf sowohl normierte als auch ernste Kämpfe in bürgerlichem und bäuerlichem Umfeld belegen, lassen sich Praktiken des Kämpfens in der Vormoderne jedoch nicht auf den ordo der bellatores beschränkt untersuchen. Gleichermaßen würde es eine perspektivische Verengung darstellen, das Kämpfen ausschließlich als ein Phänomen der Gewalttätigkeit zu konzipieren. Die Popularität von öffentlichen Fechtschulen im späten Mittelalter und die Belege für zahlreiche stark normierte Formen des Kämpfens und des kämpferischen Wettstreits außerhalb von Gerichtskampf, Krieg und Fehde legen die Verwendung eines weiten Kampfbegriffes nahe und verweisen darauf, Praktiken des Kämpfens in erster Linie als ein polysemisches und alle Gesellschaftsschichten durchdringendes Phänomen zu konzipieren.
Neben den vielfältigen eingangs genannten Zeugnissen existiert jedoch eine Quellengattung, die das Erzählen und Imaginieren des Kämpfens auf ganz konkrete Weise mit der Praxis der physischen Auseinandersetzung verbindet: Anfang des 14. Jahrhunderts begannen Fechtlehrer, mithilfe von Bildern und Texten ihr konkretes Körperwissen und ihre didaktischen Praxislehren in Buchform aufzuzeichnen. Auf diese Weise entstanden mit den europäischen Fecht- oder Kampfbüchern faszinierende Zeugnisse, die soziale Kontexte des Kämpfens ebenso thematisieren wie ganz konkrete Strategien und Körpertechniken im Kampf.
Diese Kampfbücher sollen im vorliegenden Forschungsvorhaben als Ausgangspunkt für eine kulturgeschichtliche Untersuchung von Diskursen und Praktiken des Kämpfens in Spätmittelalter und früher Neuzeit genutzt werden. Kampfbücher stellen dabei selbstverständlich keine nachträgliche Dokumentation tatsächlich erfolgter Kämpfe dar, sondern sie thematisieren Wissensbestände des Kämpfens und die Vermittlung dieses Wissens in Form von Kampfkunst. Der Begriff Kampfkunst verweist in diesem Zusammenhang von einem handwerklich-technischen Kunstbegriff ausgehend auf das Wissensfeld des Kämpfen-Könnens, also auf die intersubjektive Vermittlung von embodied knowledge und die physische Transformation vom bloß akzidentiell kämpfenden zum kampfbefähigten Körper. Medien dieser Transformation sind die in den mittelalterlichen Kampfbüchern dokumentierten Praxislehren, die in der Regel konkreten Meisterfiguren wie etwa Johannes Liechtenauer, Hans Talhofer oder Fiore dei Liberi zugeschrieben und durch diese als Wissensbestand autorisiert werden. Den Kern dieses Wissens bildet in der Regel eine didaktische Auswahl von Körpertechniken, die auf Grundlage von impliziten und expliziten Annahmen über die antizipierten Kontexte des Kämpfens ausgewählt und als Kampfsystem in eine Ordnung gebracht wurden. Auf diese Weise erlauben sie in der Phase des Lernens, die Komplexität und die Kontingenz tatsächlicher Kämpfe zu reduzieren und für die Praktizierenden auf ein zu erlernendes Set von Techniken zu begrenzen. Damit fungieren Praxislehren des Kämpfens sowohl als Kommunikationsmedium zur didaktischen Vermittlung von Fertigkeiten als auch als Mittel einer individuellen Gewaltbewältigung. Durch die Möglichkeit der subjektiven Vorbereitung auf potenzielle Kämpfe erlauben sie eine antizipierende Bearbeitung der mit jeder Situation interpersoneller Gewalt verbundenen Unsicherheiten und Risiken, die sich aus der grundlegenden Verletzungsoffenheit des menschlichen Körpers ergibt. Der Begriff Kampfkunst verweist damit aber neben dem Wissensfeld des Kämpfen-Könnens zugleich auf konkrete soziale Institutionen, bestehend aus den Gemeinschaften von Praktizierenden spezifischer Kampfsysteme, die das Wissen vom Kämpfen organisieren und diskursiv kontrollieren.
Neben der diskursanalytisch informierten Analyse der Kampfbücher zielt eine zweite Säule des Projekts mit der Einbeziehung von seriellem Material der städtischen Verwaltung auf die Untersuchung konkreter Praktiken des Kämpfens ab. Die Einbeziehung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt als sozialer Raum erlaubt auf diese Weise den Blick auf unterschiedliche und sich überschneidende Kulturen des Kämpfens zu lenken (adeliges Turnierwesen, Gesellenstechen, bürgerliches Fechten und Fechtschulen, geselliger Ringkampf, Training der Stadtmilizen, obrigkeitliche Kontrolle von Waffenbesitz, Verfolgung von Gewalttaten, usw.) und Praktiken und Diskurse ins Verhältnis zueinander zu setzen.» weiterlesen» einklappen