Benutzerführung und Selbststeuerung beim Wissenserwerb mit hypermedialen Lernumgebungen
Laufzeit: 01.05.2000 - 31.12.2002
Kurzfassung
Ziel der Studie ist es, die Auswirkungen verschiedener Formen der Benutzerführung und Selbststeuerung in hypermedialen Lernumgebungen zu untersuchen. Computervermittelte Informations- und Kommunikationsformen haben in den letzten Jahren im Bereich des Lernens neue Möglichkeiten und Perspektiven für den Wissenserwerb eröffnet. Ausgehend von einer Sichtweise des Lernens, wonach es sich beim Wissenserwerb um einen aktiven, konstruktiven, kumulativen und zielorientierten Prozess handelt, der in...Ziel der Studie ist es, die Auswirkungen verschiedener Formen der Benutzerführung und Selbststeuerung in hypermedialen Lernumgebungen zu untersuchen. Computervermittelte Informations- und Kommunikationsformen haben in den letzten Jahren im Bereich des Lernens neue Möglichkeiten und Perspektiven für den Wissenserwerb eröffnet. Ausgehend von einer Sichtweise des Lernens, wonach es sich beim Wissenserwerb um einen aktiven, konstruktiven, kumulativen und zielorientierten Prozess handelt, der in einen bestimmten Kontext eingebettet ist, ist es durch diese neuen Formen der Instruktion besonders gut möglich, den Lernprozess an den einzelnen Lerner anzupassen. Lernen vollzieht sich immer auf einem Kontinuum zwischen Selbst- und Fremdsteuerung: Der Lernprozess kann von außen - beispielsweise durch einen Lehrenden - angeleitet werden oder aber vom Lernenden - je nach erreichtem Lernniveau - selbst gesteuert werden. Bei der Verwendung hypermedialer Lernelemente, insbesondere wenn sie für eigenständiges Lernen konzipiert sind, erfolgt eine Verschiebung des Schwerpunktes hin zur Selbststeuerung. Hypermedien bieten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dem Lernenden die Auswahl zwischen verschiedenen Lernwegen zu überlassen. Gleichzeitig steigen damit die Anforderungen an den Lernenden: Beim Wissenserwerb mit komplexen Hypermedien müssen neben der Konstruktion von Wissen über Sachverhalte auch Orientierungsleistungen erbracht werden. Der Lerner hat hier also mit seinen begrenzten kognitiven Ressourcen eine doppelte Aufgabe zu bewältigen. Bei der Entwicklung von Lernumgebungen ist es daher denkbar, diesen Lernprozess durch die Einbindung semantischer Lernhilfen wie Advance Organizer, Lernziele, Lernfragen und Zusammenfassung so weit zu unterstützen, dass eine ausgewogene Balance zwischen externer Anleitung und selbstgesteuertem Vorgehen gewährleistet ist. Dabei kann das Verhältnis von Fremd- und Selbststeuerung auch durch die Art der Präsentation der Lernhilfen variiert werden: Sie können obligatorisch eingebunden werden, wodurch der Grad der Fremdsteuerung erhöht wird. Sie können aber auch optional als Angebot gestaltet werden, was den Selbststeuerungsanteil des Lerners erhöht. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Hilfen in einem optionalen Präsentationsformat von den Lernenden oftmals nicht beachtet werden. Dies ist weiterhin vor dem Hintergrund zu sehen, dass einerseits nicht alle Lerner zu einer adäquaten Selbsteinschätzung in Bezug auf die Nützlichkeit der Lernhilfen fähig sind und andererseits die Entscheidung zur Nutzung der Hilfen eine zusätzliche Belastung der kognitiven Ressourcen bedeutet. Es ist daher von Interesse, inwiefern den Lernenden solche Wahlmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden sollten. Dabei wurde versucht, folgende Fragen zu beantworten: -Wie unterscheiden sich ein optionales Darbietungsformat von Lernhilfen im Vergleich zu einem obligatorischen Format in Hinblick auf den Lernerfolg und die Akzeptanz? -Inwiefern unterscheiden sich Lernende mit hohem Vorwissen von Lernenden mit geringem Vorwissen im Lernerfolg? -Inwiefern haben Lernermerkmale wie Intelligenz u.ä. einen Einfluss auf die Nutzung der Lernhilfen und den Lernerfolg? Zur Beantwortung dieser Fragen wurde 96 Versuchspersonen eine komplexe hypermediale Lernumgebung präsentiert. Um eine ausreichende Abdeckung des Vorwissens-Spektrums zu erzielen, wurden hierfür Studenten der Universität Koblenz-Landau und Schüler der gymnasialen Oberstufe gewonnen. Die Untersuchungsteilnehmer wurden nach Zufall den Bedingungen eines 3x2-Designs mit den Faktoren "Darbietungsform der Lernhilfen" und "Vorwissen" zugeordnet. Innerhalb des Faktors "Darbietungsform der Lernhilfen" wurden drei Stufen realisiert: entweder obligatorische Vorgabe der Lernhilfen, optionale Darbietung als Link oder keine Verfügbarkeit von Lernhilfen. Der Faktor "Vorwissen" umfasste die Stufen hohes und geringes Vorwissen. Weiterhin wurde Intelligenz erhoben. Die Wirkung der Lernhilfen wurde anhand eines Lernerfolgstests überprüft, zudem wurde mit Hilfe eines Fragebogens die Akzeptanz der Lernhilfen bzw. deren Darbietungsform erfasst. Eine Grobanalyse der Daten zeigt, dass sich der erwartete Unterschied im Lernerfolg zwischen den beiden Gruppen mit hohem und geringen Vorwissen finden lässt, dass sich aber hinsichtlich der Darbietungsform der Lernhilfen sowie der Interaktion zwischen Darbietungsform und Vorwissen kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen ergibt. In einer näheren Analyse unter Einbeziehung von Logfile-Daten, die einen Aufschluss über die Nutzung der Hilfen gewähren, zeigt sich jedoch bei adäquater Nutzung der Hilfen ein Ef-fekt auf die Lernleistung: Lerner mit geringem Vorwissen erzielen schlechtere Lernergebnis-se, wenn sie mit den Hilfen lernen, während Lerner mit hohem Vorwissen von der Nutzung der Hilfen profitieren. Bei geringem Vorwissen scheint die Nutzung der Hilfen demnach den Lernprozess eher zu behindern, indem sie den Lerner kognitiv zu stark belasten. Lernenden mit hohem Vorwissen stehen hingegen ausreichend kognitive Ressourcen zur Verfügung, die für die Verarbeitung der Lernhilfen eingesetzt werden können. Fragt man nun nach dem Effekt und der Nutzung der Hilfen, wenn den Lernenden die Wahlfreiheit gegeben wird, die Hilfen entsprechend den Vorgaben zu nutzen oder nicht, so wird mit Blick auf die optionale Gruppe deutlich, dass Lernende, die die Hilfen in adäquater Weise nutzen, signifikant besser abschneiden als Lernende, die die Hilfen gar nicht oder in nicht adäquater Weise nutzen. Zudem lassen sich unterschiedliche Muster der Hilfenutzung erkennen: In der Gruppe der Lerner, die die Hilfen adäquat nutzen, finden sich zwei unterschiedliche Typen, der eher system- bzw. rezeptionsorientierte Lernertyp, der Einführung und Zusammenfassung bevorzugt und der eher konstruktivistisch orientierte Lernertyp, der überwiegend Lernziele und Lernfragen nutzt. Die Lernenden hingegen, die die Hilfen überhaupt nicht oder nicht entsprechend der Empfehlungen nutzen, rufen die Lernhilfen spontan und ohne jegliche Orientierung ab. Unter Berücksichtigung von Lernermerkmalen zeigt sich, dass Lernenden mit geringer Intelligenz dem systemorientierten Typ zuordnen sind, während sich Lernende mit hoher Intelli-genz auf die Lernfragen konzentrieren. Hinsichtlich der Akzeptanz für die Darbietungsform der Hilfen zeigt sich ein einheitliches Bild über alle Gruppen hinweg: Das optionale Präsentationsformat wird signifikant bevorzugt. Zusammenfassend sollte entsprechend den Ergebnissen dieser Studie bei der Gestaltung von multimedialen Lernumgebungen besonderer Wert auf eine individuelle Anpassbarkeit von Lernhilfen in Abhängigkeit von Lernermerkmalen gelegt werden. » weiterlesen» einklappen